Das Asperger-Syndrom
Wer als Laie an Autismus denkt, hat
vermutlich das Bild von einem Kind vor Augen, das vollständig in sich gekehrt ist, immer
wieder dieselben Bewegungen wiederholt und bei Berührungen zu Panikattacken, Schreien und
Selbstverletzungen neigt.
Tatsächlich ist das aber nur eine mögliche Form von Autismus, die man auch
Kanner-Autismus nennt. Sehr vielen Autisten sieht man dagegen ihre Behinderung auf den
ersten Blick kaum an, da sie eine weniger schwerwiegende Form des Autismus haben, das
Asperger-Syndrom. Asperger-Betroffene wollen oft von ihrer Umwelt nicht als Behinderte
abgestempelt werden und sind darum bemüht, möglichst wenig anzuecken, manch
einer ist auch berufstätig oder studiert, bei vielen findet sich eine Hochbegabung, aber
wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass hinter dieser sozusagen durch hohe
Schauspielkunst aufrechterhaltenen Fassade oft massive Probleme verborgen liegen, die sich
besonders im Umgang mit anderen Menschen zeigen.
Asperger-Autisten sehen anderen Menschen ungern in die Augen, vermeiden Körperkontakt,
wie etwa das Händeschütteln, sind unsicher, wenn es darum geht, Gespräche mit anderen
zu führen, besonders, wenn es sich um einen eher belanglosen Smalltalk handelt, denn all
die sozialen Regeln, die andere intuitiv beherrschen und die ja auch nicht immer
der Logik folgen etwa, dass man nur um des freundschaftlichen Kontaktes willen (und
nicht aus meteorologischem Interesse) über das Wetter redet oder einfach fragt: Wie
gehts?, ohne dass man einen medizinischen Zustandsbericht erwartet, dass sind
Dinge, die zu begreifen Autisten schwer fallen und die, wenn überhaupt, nur durch einige
bewusste Anstrengung des Intellekts von ihnen geleistet werden kann.
Daher haben Autisten oft auch keine oder kaum Freunde, jedenfalls was den Kontakt zu
Nichtautisten angeht. In der Schule etwa sind sie in den Pausen lieber für sich, weil sie
mit dem ganz normalen Umgang anderer Schüler untereinander, mit ihrem
Geplauder und ihren Witzen wenig anfangen können.
Im Unterricht haben sie naturgemäß regelmäßig bessere schriftliche als mündliche
Noten und etwa vor versammelter Klasse einen Vortrag zu halten ist etwas, das die
wenigsten Asperger-Autisten leisten können. Da aber auch in der Ausbildung und im Studium
oft derartige Dinge gefordert sind, findet man immer wieder Autisten, die vielleicht einen
weit über dem Durchschnitt liegenden IQ haben und dennoch eine Ausbildung nach der
anderen abbrechen müssen.
Dazu kommt, dass auch die Information über Autismus in der Allgemeinheit immer noch
längst nicht so verbreitet ist, wie es nötig wäre, sodass die meisten Autisten auch
überhaupt nicht wissen, dass sie zu dieser Gruppe von Menschen gehören und je später
eine korrekte Diagnose erfolgt (auch bei vielen Psychologen fehlt hier das Detailwissen,
sodass sie bisweilen bei dieser von außen schwer eindeutig erkennbaren auch Fehldiagnosen
stellen), desto schwieriger ist die Hilfe.
Autismus ist auch im eigentlichen Sinne nicht heilbar; die Wahrnehmung der Welt und die
Beziehung zu anderen Menschen bleibt ein Leben lang anders als bei normalen
oder wie Autisten gern sagen neurologisch typischen (NT) Menschen; dennoch
lässt sich mit kompetenter Hilfe viel erreichen.
Autisten verfügen oft über ganz erstaunliche kreative Potentiale es gibt gute
Musiker unter ihnen, auch liegt oft eine Neigung zu Sprach- und Wortspielen vor die
oft genug unentdeckt und ungenutzt bleiben, wenn keine Hilfe erfolgt. Auch haben viele
Asperger-Autisten umfangreiches Wissen in begrenzten Spezialgebieten wenn man einen
Menschen sieht, der sich stundenlang mit irgendwelchen Statistiken oder Tabellen
beschäftigt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man einen Autisten vor sich hat.
Wichtig ist vor allem, dass der Zugang zu diesen Menschen möglichst indirekt erfolgt.
Übliche Methoden mit Lob und Tadel greifen oft nicht und verstärken oft nur
selbstbestrafendes Verhalten des Autisten; auch Festhaltetherapien sind in der Regel nur
eine Qual für alle Beteiligten, ohne dass der Nutzen dabei allzu groß wäre. Auf jeden
Fall ist indirektes schriftliches Vorgehen oft besser als direkte mündliche Ansprache. Am
Anfang steht jedenfalls die korrekte Diagnose als Asperger-Autist; hat der Betroffene,
egal ob Kind oder Erwachsener, erst einmal einen Begriff für sein Handicap, erlebt er das
meist als eine Befreiung. Es lassen sich dann auch leichter Fachleute finden, mit denen
man darüber reden kann, die einem auch Therapiemöglichkeiten aufzeigen können und vor
allem findet man ja so auch erst den Zugang zu dem ständig wachsenden Angebot an
Selbsthilfe. So verständnisvoll und behutsam Eltern und Psychologen auch vorgehen, es ist
doch kein Vergleich damit, was betroffene Autisten untereinander auszutauschen in der Lage
sind; hier fällt das schwierige Erklären, was denn Autismus ist, weg, damit auch viele
psychologische Hemmungen und man erlebt untereinander auch immer wieder den
"das-kenne-ich-bei-mir-auch-" Effekt,
der oft große Erleichterung bewirkt.
Von Rainer Döhle
Rainer@autismus-in-berlin.de |